Kreisklasse oder Nobelpreis

Warum ausgerechnet in Hamburg der erste kommerzielle Quantencomputer entstehen könnte

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Von Jana WernerFreie Autorin
Veröffentlicht am 16.04.2025Lesedauer: 7 Minuten
Die Resultate eines gut funktionierenden Quantenrechners könnten zu einer Vielzahl von technischen Innovationen führen, die laut Experten unser Leben in allen Bereichen massiv beeinflussen werden
Die Ergebnisse eines funktionierenden Quantenrechners könnten zu technischen Innovationen führen, die laut Experten unser Leben massiv beeinflussen werdenQuelle: Wong Yu Liang/Moment RF/Getty Images

Im Wettlauf um die Erfindung eines kommerziellen Quantencomputers sieht sich Deutschland auf Augenhöhe mit den USA und China. In Hamburg scheint der Durchbruch zum Greifen nah. Die gesellschaftlichen Auswirkungen beschreiben Forscher als revolutionär.

Im Moment, so erklärt es Dietmar Focke, „wissen wir, dass wir von A nach B fliegen wollen, aber – wir wissen bisher nicht wie“. Also, „fliegen wir mit Flügeln, mit Rotorkraft oder mit Jetpack“. Was der Geschäftsführer des Unternehmens Lufthansa Industry Solutions (LHIND) in seinem Büro in Norderstedt bei Hamburg beschreibt, ist das Spannungsfeld, in dem sich die Quantentechnologie derzeit zwischen Wissenschaft und Industrie bewegt. Seit der Ausformulierung der Quantenmechanik durch die Physiker Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg vor 100 Jahren scheint der Durchbruch für deren Erben nun zum Greifen nah.

Während die Vereinten Nationen 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft ausgerufen haben und Errungenschaften wie das Smartphone, den Barcodescanner im Supermarkt oder die Magnetresonanztomografie würdigen, investieren Länder wie die USA und China längst Milliarden in die Zukunft. Hierzulande mögen vergleichbare Gelder fehlen, dennoch hat Deutschland den Stellenwert der Quantenwissenschaft erkannt und bundesweit mehrere Forschungszentren errichtet.

Eines dieser Cluster ist Hamburg – ein Standort, an dem Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an einem Strang ziehen, unter ihnen Focke und seine LHIND-Mitarbeiter. Sie eint allesamt jenes Ziel, das Deutschland bei anderen Technologien oft verpasst hat: der Sprung von der Grundlagenforschung in die Anwendung und somit ein Spitzenplatz im internationalen Wettbewerb.

Diplom-Ingenieur Dietmar Focke und sein IT-Dienstleistungsunternehmen Lufthansa Industry Solutions wollen das Fliegen effizienter machen
Diplom-Ingenieur Dietmar Focke und sein IT-Dienstleistungsunternehmen Lufthansa Industry Solutions wollen das Fliegen effizienter machenQuelle: Bertold Fabricius

Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen beim Betreten des Headquarters von Lufthansa Industry Solutions in Norderstedt, unweit des Hamburger Flughafens. Dort und an weiteren Standorten bilden die insgesamt 3000 Beschäftigten aus 75 Nationen mit einem Durchschnittsalter von unter 40 Jahren nicht nur das digitale Rückgrat des Lufthansa-Konzerns. Sie liefern ferner für mehr als 300 Kunden aus diversen Branchen Apps, Softwares und Programmierungen, unter anderem das Ticketsystem im öffentlichen Nahverkehr in Berlin, Mainz oder Stuttgart.

Intensives Augenmerk jedoch richtet LHIND auf die Entwicklung von Algorithmen für die Quantentechnologie, da diese ein ideales Einsatzfeld für die komplexen Prozesse im Luftverkehr sind. Noch existiere keine kommerzielle Anwendung, aus der sich ein betriebswirtschaftlicher Nutzen für eine Firma ergebe, sagt der Quantenphysiker des Unternehmens, Joseph Doetsch, und verrät: „Was wir bei LHIND schon machen, ist, dass wir die IT-Infrastruktur mit Blick auf die Optimierungen im Flugbetrieb so bauen, dass sie Quantum-bereit ist.“ Sollte irgendwann ein Quantencomputer existieren, müsste sein Team die Software nicht neu entwickeln. Doetsch: „Wir können die Stärken des Quantencomputers dann sofort nutzen.“

Konkret arbeitet Lufthansa Industry Solutions am Gate Assignment, daran also, an welchem Gate ein Flugzeug ankommt. „An großen Flughäfen mit zum Beispiel 150 Gates und 1000 Abflügen pro Tag gibt es 150^1000 Zuordnungsmöglichkeiten, das ist eine Zahl mit mehr als 2000 Stellen“, betont Geschäftsführer Focke. Klassische Computer stießen hier aufgrund des hohen Rechenaufwands rasch an ihre Grenzen. Aus Zeit- und Effizienzgründen sei eine bestmögliche Zuordnung für Passagiere und Fluggesellschaften hilfreich. „Überdies kümmern wir uns um eine Flugroutenoptimierung und darum, wie wir das System so miteinander verknüpfen, um im gesamten Flugnetzwerk strategisch zu planen“, so Focke.

Diese Gesamtoptimierung umfasst mehr als eine Flugroutenplanung in Echtzeit. Quantenphysiker Doetsch erklärt: „Wird ein Flug gestrichen oder kommt an einem anderen Gate an, aktualisieren die aktuellen Computer den Ausfall schon gut – allerdings nur in Einzelsystemen.“ Die Informationen zu einem Flug für Crew, Passagiere und Bodenpersonal miteinander zu verknüpfen und zu optimieren, das sollen Quantencomputer leisten.

Davon würden Passagiere laut Doetsch insofern profitieren, als sie bei einem Flugausfall automatisch auf einen anderen Flug umgebucht werden und nur wenig später am Ziel sind. Oder ein Flugplan wird bei Ausfällen in Echtzeit angepasst, sodass Passagiere nichts bemerken. „Wir versprechen uns von der industriellen Anwendung eines Quantencomputers, dass Passagiere schneller ankommen, möglichst zu geringeren Kosten und entspannten Reisebedingungen“, sagt Focke.

Hinter dem Antrieb der Lufthansa-Tochter – beim Wettlauf um den ersten Quantencomputer vorn dabei zu sein – steckt nicht zuletzt der Ansatz, Kerosin zu reduzieren. So hatte die Lufthansa eigenen Angaben zufolge 2024 einen Gesamtumsatz in Höhe von rund 38 Milliarden Euro. Die Treibstoff-Rechnung lag bei etwa 7,8 Milliarden Euro, ist somit einer der größten Kostenblöcke der Gruppe. Focke beschreibt: „Es dauert 30 Jahre bis zu einer neuen Triebwerksgeneration, die 20 Prozent Treibstoff einspart. Wäscht man die Flugzeuge und überzieht sie mit haifischhautähnlicher Folie, spart man ein Prozent Treibstoff ein.“

Die Quantentechnologie ist ein ideales Einsatzfeld für die komplexen Prozesse im Luftverkehr
Die Quantentechnologie ist ein ideales Einsatzfeld für die komplexen Prozesse im LuftverkehrQuelle: Andreas Arnold/dpa

Eine Software für eine Flugrouten- und Datenoptimierung wiederum erreiche weitere Einsparungen. „Ob das nun am Flughafen ein Flugzeug mit Fracht oder Passagieren betrifft oder am Hafen ein Schiff mit Fracht oder Passagieren, ist letztlich egal, denn die Lösungen sind meist die gleichen“, sagt der Diplom-Ingenieur, dessen Unternehmen eng mit der Universität Hamburg kooperiert.

Dort, am Institut für Quantenphysik, erleben die Professoren Henning Moritz und Dieter Jaksch, wie anspruchsvoll die Umsetzung von der Theorie in die Praxis ist. „Die fundamentalen Bausteine eines Quantencomputers sind Qubits, welche in hoch verschränkten Zuständen, die zu verarbeitende Quanteninformation speichern“, betont Jaksch. Qubits seien sehr empfindlich gegenüber äußeren Störungen, was zur Dekohärenz und zu Rechenfehlern führe.

Herausfordernd sei, Quantenfehlerkorrekturmethoden und damit fehlertolerante Quantenhardwarearchitekturen zu schaffen. Ebenso müsse die Quantenhardware so gestaltet werden, dass sie sich prinzipiell zu beliebig großen Systemen erweitern lasse und Quantencomputer zu einer skalierbaren Technologie mache, so Quantenphysiker Jaksch.

Sein Kollege Moritz hofft, dass „wir uns gut funktionierenden Quantencomputern rapide nähern“. Experten rechneten damit in 5 bis 20 Jahren. Im Erfolgsfall seien bessere Katalysatoren zur Energieeinsparung möglich. An einem für Hamburg relevanten Beispiel bei der Herstellung von Wasserstoff erklärt Quantenphysiker Moritz: „Wir wollen dort, wo wir viel Energie haben, Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Den Katalysator benötigen wir, um für diesen Schritt möglichst wenig Energie zu verbrauchen.“

Der Wasserstoff werde dann nach Hamburg verschifft und vor Ort mit Sauerstoff zusammengebracht, damit er unter Energiefreigabe wieder zu Wasser werde. Diese Energie könne genutzt werden, um Häuser zu heizen oder bei Aurubis Kupfer zu produzieren. Ferner könnten Quantencomputer bei der Suche nach Medikamentenwirkstoffen und neuen Materialien helfen, so Moritz.

Innovationen, die unser Leben massiv beeinflussen

Die meisten Forscher gingen davon aus, ergänzt Jaksch, „dass ein universeller skalierbarer Quantencomputer eine ähnlich transformative Wirkung auf unsere Gesellschaft hätte wie die Erfindung des Transistors“. Von Quantenrechnern versprechen sich ebenso Bereiche wie Kryptografie und Industriedesign revolutionäre Fortschritte. „Die Resultate könnten zu einer Vielzahl von technischen Innovationen führen, die unser Leben in allen Bereichen massiv beeinflussen“, betont Jaksch.

Aus Sicht von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank nutzt Hamburg die Chancen. „Fast 243 Millionen Euro aus Bund und Land fließen bei uns in die Förderung von Quantentechnologien“, sagt die Grünen-Politikerin. Initiativen wie das „Hamburg Quantencomputing“-Programm, das Projekt Rymax, das Innovationszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt auf dem NXP-Campus oder die DESY Innovation Factory in der Science City Hamburg Bahrenfeld zeigten, dass die Hansestadt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Quantentechnologien spiele.

Es handele sich um strategische Investition in die Zukunft, um „Hamburg zu einem internationalen Quanten-Hotspot zu machen“, so die Senatorin. Fortsetzen möchte der Stadtstadt den Weg außerdem mit dem Abbau von Bürokratie und dem Ausbau der Ausbildung von Fachkräften.

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Aufgrund der gewachsenen Infrastruktur aus politischen Rahmenbedingungen, Grundlagenforschung, Entwicklung und Industrie sind Hamburg und Deutschland laut LHIND-Geschäftsführer Focke global wettbewerbsfähig. Zwar sei Deutschland eher regulatorisch unterwegs, auch fehlten hierzulande die Startup-Mentalität und Milliarden-Investitionen in Innovationen. Stattdessen verfüge Deutschland über ein seit Jahrzehnten sich entwickelndes Fundamentalwissen, um die Technologie in die Massenanwendung zu bringen. Diese Basis, sagt Focke, „haben wir anderen Ländern voraus, das müssen wir nur noch in PS auf die Straße bringen.“

So hofft der LHIND-Chef, dass den Entscheidern in Bund und Land bewusst bleibt, dass in dem Bereich enormes Kapital für die deutsche Wirtschaft stecke, was Wettbewerbsvorteile, Arbeitsplätze und technologische Unabhängigkeit beinhalte. „Wir dürfen dieses Fundament nicht wieder aus der Hand geben und uns in eine Abhängigkeit von Partnern begeben, die nicht mehr so verlässlich sind wie einst“, mahnt Focke und fordert massive Unterstützung in die Entwicklung. „Die Souveränität bei der Quantentechnologie in Deutschland und Europa ist entscheidend für die Zukunft. Es geht um Kreisklasse oder Nobelpreis“, betont Focke. Wem zuerst der Durchbruch gelinge, habe die Nase vorn.


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